Die deutsche Fußballnation ist immer noch geschockt. Das historische Ausscheiden der Nationalmannschaft nach der Vorrunde bei der Weltmeisterschaft in Russland muss erst einmal verdaut werden. Viele Schreiberlinge fordern “Köpfe müssen rollen”, bekannte Namen kommentierten, übten offen Kritik an der Mannschaft und ihrer Führung. Insbesondere Jogi Löw befand sich im Zentrum der Kritik.
Nicht wenige hatten mit einem Rücktritt oder gar einem Rauswurf des bis dahin so hoch gelobten Bundestrainers gerechnet. Doch der will sich offenbar nicht mit einem WM-Debakel von der Nationalmannschaft verabschieden. Er will weitermachen und dabei stärkt ihm der DFB trotz Krisengipfel den Rücken. Der DFB setzt auf Stabilität statt auf Umbruch. Nicht allen Kritikern ist diese Entscheidung recht, viele hofften auf kurzfristige Konsequenzen.
Unbestreitbar ist, dass die Nationalmannschaft den Erwartungen nicht gerecht wurde. Für den amtierenden Weltmeister gab es viele Vorschusslorbeeren. Nach den Rücktritten großer Namen wie Philip Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker mussten diese Lücken aber erst gefüllt werden. War das Team wirklich ein Favorit in diesem Turnier? Die WM-Qualifikation konnte die National-Elf problemlos bestreiten. In der Vorbereitung waren aber nur wenige Testspiele möglich, der Zeitplan wird durch die Pflichtspiele der Vereine bestimmt. Die Nationalmannschaft hat da keine Priorität, muss Nischen nutzen.
Die deutsche Mannschaft praktiziert seit Jahren eine Spielweise, die auf mannschaftliche Geschlossenheit angewiesen ist. Sicher, es gibt Spitzenspieler wie Thomas Müller, Toni Kroos und nicht zuletzt Manuel Neuer. Aber es gibt nicht den einen großen Superstar wie Cristiano Ronaldo, auf den beispielsweise das Spiel der Portugiesen zugeschnitten ist. Im deutschen Team kann jeder Spieler ausgetauscht werden, jede Position muss mit einem anderen Namen und Gesicht gefüllt werden können. Das Ergebnis ist selbstverständlich nicht immer gleich. Jeder Spieler hat seine eigene Persönlichkeit und setzt eigene Akzente. Aber die Mannschaft muss in einem Turnier zusammenfinden, während der laufenden Saison ist das kaum möglich.
Das war bei den meisten Turnieren der vergangenen Jahre nicht anders. Das erste Spiel war oft verkorkst, konnte gerade so gewonnen werden oder auch gerade so nicht. Daher sollte es Kenner nicht verwundert haben, dass das Spiel gegen Mexiko nicht gewonnen werden konnte. Mexiko trat mit einem starken Team an, war offenbar gut eingespielt und hatte dem deutschen Sturm einiges entgegenzusetzen. Und die deutschen Stürmer wie Müller, Özil und Werner konnten ihre Chancen nicht nutzen. So wurde es kein gerechtes Unentschieden, sondern eine bittere Niederlage.
Das nächste Spiel gegen Schweden war da schon ein Schicksalsspiel. Ein Sieg gegen die starken Skandinavier musste her, sonst wäre das Turnier schon nach dem zweiten Spiel beendet gewesen. Und der Führungstreffer der Schweden schien den negativen Trend zu bestätigen, das deutsche Team stand kurz vor dem Ausscheiden. Aber hier zeigte sich der Kampfgeist, die erfahrenen Spieler wie Neuer, Boateng, Müller und Kroos führten das Team noch zum Sieg. Toni Kroos gelang kurz vor Ende der Partie der verdiente Siegtreffer zum 2:1. Der Platzverweis von Boateng konnte das Team nicht wirklich schwächen. Fußball-Deutschland konnte wieder hoffen.
Die Partie gegen Südkorea dagegen machte alle diese Hoffnungen zunichte. Es fehlte der Spielwitz, die Schnelligkeit, die Effizienz. Das Fehlen von Boateng machte sich bemerkbar, auch wenn dieser zuvor wegen seiner Leistung kritisiert wurde. Fußball ist ein Mannschaftssport, aber nicht der Ballbesitz führt zum Sieg, sondern das Erzielen von Toren. Wer mehr Treffer auf seinem Konto hat als die gegnerische Mannschaft, der gewinnt. Die Nationalmannschaft weiß das, aber der Sturm konnte nicht liefern. Fehlte die Erfahrungen, das Können? Hatte der Trainer die falschen Spieler aufgestellt oder die falsche Strategie herausgegeben? Hinterher wissen es alle besser.